- 26. Januar 2017
Broschüre zum Nordbahnhof ist in Bürgerbüros Mitte und Wattenscheid erhältlich
Die Initiative Nordhahnhof Bochum hat nun ihre erste Veröffentlichung vorgelegt: Die Broschüre „Gedenkort Nordbahnhof – Erinnern an Deportationen aus...
Geboren wurde sie als Elisabeth Mayer am 10. November 1924 in der Landesfrauenklinik in Bochum. Ihre Eltern waren Alfred Mayer (1892-1944) und die aus einer jüdisch-orthodoxen Familie im hessischen Camberg stammende Martha Mayer, geborene Goldschmidt (1897-1976). 1927 kam Elisabeths Bruder Georg zur Welt. Die Familie lebte bis 1933 in der Scharnhorststraße 3 und bis zur Emigration 1939 in der Neustraße 17.
Elisabeths Vater Alfred Mayer war promovierter Staatswissenschaftler, den Lebensunterhalt für seine Familie verdiente er aber als Installateur. Zusammen mit seinem Vater Leo und seinem Bruder Otto führte er das Installationsgeschäft Leo Mayer & Söhne an der Rottstraße, wo er an einer Wand in seinem Büro stolz seinen Universitätsabschluss präsentierte. Mit Augenzwinkern schreibt Elizabeth Petuchowski, ihrer Familie sei der Spitzname „Klo Mayer“ angehängt worden, um sie von anderen Mayers in Bochum unterscheiden zu können. Ihren Vater charakterisiert sie als humorvollen und phantasiebegabten Menschen, der seiner Zeit voraus war. So habe er sich zum Beispiel eine Art Bild-Telefon ausgedacht und gescherzt: Damit sei es dem Anrufer unmöglich zu behaupten, er entspanne gerade am Meer, während er in Wirklichkeit zu Hause herumhing.
Elisabeths Kindheit scheint in einem liebevollen, kulturell anregenden Umfeld verlaufen zu sein. Beide Eltern interessierten sich für Literatur, Kunst und Musik und musizierten auch selbst. Mutter Martha spielte Piano, gerne auch Lieder von Marlene Dietrich und Zarah Leander. Die kleine Elisabeth sang sie mit. Ihr Vater spielte Geige und ebenfalls Klavier, auch Elisabeth lernte Klavierspielen. Alles sei „sehr Deutsch“ gewesen, konstatiert sie zurückschauend. Die Eltern gaben „Dinnerpartys“ und andere Gesellschaften, bei denen oft auch Musik gemacht wurde. Alfred Mayer hatte eine Vorliebe für amerikanischen Jazz und das Kino. Er wollte die neuesten Filme sehen, sobald sie herausgekommen waren. Manchmal nahm er Elisabeth mit, die sich an Filme mit Paula Wesseling, Marta Eggerth und Jan Kiepura erinnert. Sie sah aber auch Kinderfilme mit Shirley Temple, Mickey-Mouse-Filme und viele andere. Mit ihrer Mutter teilte sie ein anderes Freizeitvergnügen: Sie ging mit ihr in den Zirkus.
Mehr über das bewegte Leben Elizabeth Petuchowskis erfahren Sie hier ...
Das von der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen geförderte Projekt der Initiative Nordbahnhof Bochum e.V. „Bochumer Orte des Terrors“ ist abgeschlossen. Seine Ergebnisse stehen allen Interessierten ab sofort zur Verfügung.
Bochum im Zweiten Weltkrieg war von Orten des Terrors durchzogen. Gemeint sind Orte, die im System der NS-Terrorherrschaft eine besondere Rolle spielten, seien es Gefängnisse oder die beiden Außenlager des KZ Buchenwald, seien es Kriegsgefangenen- und andere Zwangsarbeiterlager. Im weiteren Sinne gehören die Betriebe, in denen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ausgebeutet wurden, ebenso dazu wie die Bahnhöfe als Ausgangs- und Zielorte von Deportationen. Auch die sogenannten Judenhäuser, in denen die Bochumer Jüdinnen und Juden zuletzt wohnen mussten, oder die Obdachlosenasyle, in die Sinti und Roma zwangsweise eingewiesen wurden, waren konstitutiv für den Terror im NS. Die Orte sind eng mit den Schicksalen der Menschen verbunden, die dort litten. Die Medienstation und die Website „Bochumer Orte des Terrors“ machen sie sichtbar und erläutern sie in ihrer Funktion und Bedeutung. Sie bilden einen spezifischen Zugang zur Bochumer Geschichte in der NS-Zeit, besonders im Zweiten Weltkrieg.
Wissenschaftliche Bearbeiter waren Sebastian Döpp und Philipp Goldt, die Programmierung oblag der Essener Agentur Verb. Die Website ist unter dem Link
https://orte-des-terrors.initiative-nordbahnhof-bochum.de/
abrufbar. Die Medienstation ist Teil der Ausstellung „Drehscheibe des Terrors“, die im Januar 2025 im Gedenk- und Erinnerungsort Nordbahnhof Bochum eröffnet wird.
Mit großer Erschütterung und Bewegung haben die Mitglieder und der Vorstand des Bochumer Gedenkorts Nordbahnhof auf die Nachricht reagiert, dass Bernd Faulenbach am 15. Juni 2024 verstorben ist. Er hatte sich zuvor sehr zurückgehalten, von seiner langen, schweren Erkrankung zu sprechen, und stattdessen seine Kräfte bis zuletzt seinen vielfältigen wissenschaftlichen und öffentlichen Aktivitäten gewidmet.
Bei einer bald ins Ausgelassene umschlagenden Festveranstaltung anlässlich des 80. Geburtstags von Bernd Faulenbach vor wenigen Monaten war seine überbordende Schaffenskraft, bei der er vor allem wissenschaftliche Forschung und Erinnerungskultur verknüpfte, ein Leitmotiv. So war er nicht nur ein sehr beliebter und erfolgreicher Hochschullehrer. Vielmehr war er zugleich ein außerordentlich umtriebiger Netzwerker der Erinnerungskultur, der die Rollen des Public Historian und des eng der Sozialdemokratie verbundenen Public Intellectual brillant vereinigte. Zu seinen vielfältigen Aktivitäten auf diesem Gebiet gehörte nicht zuletzt auch sein gut 10-jähriges Engagement für den Bochumer Gedenkort Nordbahnhof, der ohne sein energisches Wirken nicht zustande gekommen wäre.
Nicht zuletzt ist es Bernd Faulenbach, der als erster Vorsitzender zugleich das Gesicht des 2016 gegründeten Vereins Initiative Nordbahnhof wurde, zu verdanken, dass der Nordbahnhof überhaupt noch steht: Ihm gelang es 2015 den Abrissantrag des zwischenzeitlichen Eigentümers – der Fiege Brauerei – zu stoppen, indem er erreichte, dass der Nordbahnhof unter Denkmalschutz gestellt wurde. Bernd Faulenbach, dessen Organisationskraft legendär war, blieb auch der rastlose Motor bei den komplizierten Verhandlungen, die schließlich dazu führten, dass in Kooperation mit der Stadt Bochum und der Ruhr-Universität Bochum zwei Räume in der Schalterhalle des ehemaligen Bahnhofs gemietet werden konnten. Dort wurde 2021 ein Gedenk- und Erinnerungsort für die in der NS-Zeit von Bochum aus erfolgten Deportationen eingeweiht. Bei seiner zu diesem Anlass gehaltenen Rede erklärte Bernd Faulenbach: „Offenbar braucht das öffentliche Bewusstsein Orte und sichtbare Zeichen, um sich an bestimmte Themen der Vergangenheit zu erinnern; sie bilden so etwas wie Kristallisationspunkte des historischen Bewusstseins.“
Die weiteren Arbeiten zum Aufbau des Gedenk- und Erinnerungsortes Nordbahnhof und vor allem die Entwicklung der Dauerausstellung unter dem Titel „Drehscheibe des Terrors“ hat Bernd Faulenbach mit Rat und Tat begleitet. Dabei hat er immer wieder seine Expertise als bundesweit tätiger Akteur im Bereich der Erinnerungsarbeit eingebracht. Er hat sich sehr gewünscht, an der Eröffnung der Ausstellung im Oktober dieses Jahres teilnehmen zu können, doch war ihm dies nicht mehr vergönnt.
Dass Menschen, die ins neunte Lebensjahrzehnt eingetreten sind, nicht nur eine schmerzliche Lücke in Beziehungen und Freundschaften, sondern auch in laufende Arbeitszusammenhänge schlagen, ist vermutlich eher die Ausnahme. Bernd Faulenbach war bis zum letzten Tag treibende Kraft auf vielen Tätigkeitsfeldern und widmete sich buchstäblich bis zuletzt auch dem Gedenkort Nordbahnhof. Am größten ist aber die Lücke, die er als Mensch hinterlässt, der mit seiner Neugierde, Diskussionslust und Warmherzigkeit uns allen sehr nahe stand. Wir vermissen ihn sehr und wir werden ihn nicht vergessen.
Constantin Goschler
Unsere Podiumsdiskussion „Das Verschwinden der Zeitzeugen und die Folgen für die Gedenk- und Erinnerungskultur“, die wir in Kooperation mit dem Alfried Krupp-Schülerlabor der Ruhr-Universität Bochum, Bereich Geisteswissenschaften, der Evangelischen Stadtakademie Bochum und dem Stadtarchiv Bochum/Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte veranstaltet haben, ist auf großes Interesse gestoßen. Einen kurzen Rückblick auf die Veranstaltung finden sie hier.
Der Historiker Hubert Schneider war eine bekannte Persönlichkeit Bochums. Von 1974 bis 2004 akademischer Rat bzw. Oberrat an der Fakultät für Geschichtswissenschaft der RUB, hat er drei Jahrzehnte lang Historiker, vor allem Lehramtsstudenten, ausgebildet, er war dabei zweifellos einer der Lehrenden, die Generationen von Studierenden zu motivieren verstanden. Doch auch viele Bürger und die Öffentlichkeit unserer Stadt kannten Hubert Schneider als einen Wissenschaftler, der durch sein beispielloses Engagement für die Aufarbeitung der Geschichte der Juden, auch durch die Einladung an die früheren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die 1995 Bochum besuchten, über den universitären Raum hinaus in die Stadtgesellschaft wirkte. So ist sein Tod auch für die 2014 gegründete Initiative Nordbahnhof Bochum ein ernster Verlust. Im letzten halben Jahr vor seinem Tod hat Hubert Schneider nicht weniger als dreimal im Nordbahnhof referiert. Seinen Vortrag über die 1942 aus Bochum nach Theresienstadt deportierten Bochumer Juden konnte er Ende Juli nicht mehr halten. Er starb am 18. Juni – obwohl er schon länger krank war – für die meisten überraschend.
Hubert Schneider wurde während des Zweiten Weltkriegs, im Februar 1941, gleichsam als Kriegskind, geboren. Er hat seinen Vater, der 1944 in der Ukraine fiel, nie kennengelernt. Er wuchs in Maximiliansau, einem Dorf in der Pfalz, vaterlos auf; die Mutter heiratete nicht wieder, sie zog ihn und seinen Bruder allein groß, „an der Armutsgrenze lebend“. Als 14-Jähriger begann er in der Industrie zu arbeiten, machte jedoch einige Jahre später in der Abendschule das Abitur nach und studierte dann an der Universität Freiburg Geschichte, Germanistik und Politikwissenschaft. Nach dem Staatsexamen arbeitete er als Lehrer, entschied sich dann aber dafür, weiter wissenschaftlich zu arbeiten. 1972 promovierte er und war bis 1974 an der Pädagogischen Hochschule in Karlsruhe tätig, wurde dann als Akademischer Rat an den Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte der Ruhr-Universität berufen und lehrte hier drei Jahrzehnte lang.
Bedeutsam für Schneiders Entwicklung wurde in den 60er Jahren die Begegnung mit Moritz Schlesinger, einem Diplomaten und Wirtschaftsfachmann der Weimarer Zeit mit jüdischem und sozialdemokratischem Hintergrund. Dieser suchte einen jungen Historiker, der ihn bei der Erarbeitung seiner Memoiren unterstützte. Er fand Hubert Schneider, der damit Einblick in Grundfragen der deutsch-russischen Beziehungen in den 20er Jahren erhielt, doch auch Aspekte der Geschichte der deutschen Juden kennenlernte, die ihn fortan sein Leben lang beschäftigen sollte.
Schneiders Dissertation hatte unter dem Einfluss Schlesingers ein Thema zur Geschichte der Sowjetunion zum Gegenstand: „Das sowjetische Außenhandelsmonopol 1920-1925“, publiziert 1973. Schneider beschäftigte sich fortan schwerpunktmäßig mit der Geschichte der Sowjetunion, Polens und der Tschechoslowakei. Sein besonderes Interesse galt jedoch zunehmend der polnischen Geschichte und ihrer Verschränkung mit der deutschen Geschichte, was ihn insbesondere den Antisemitismus und den Holocaust thematisieren ließ. Das breite historiographische Interesse Schneiders prägte seine akademische Lehrtätigkeit und spiegelt sich in der von drei seiner Schülerinnen – Andrea Löw, Kerstin Robusch und Stephanie Walter – herausgegebenen Festschrift, die Schneider bei Eintritt in den Ruhestand 2004 überreicht wurde; sie trägt den Titel „Deutsche – Juden – Polen“ und vereinigt Beiträge von Kollegen und Studierenden, von deutschen und polnischen Historikern.
Schneider war der Überzeugung, dass es nicht reiche, die Entscheidungsprozesse im Machtzentrum NS-Deutschlands 1933-45 zu untersuchen, die zur Radikalisierung des Antisemitismus und zur Implementierung des Holocaust führten. Er griff mit guten Gründen die Frage auf, welchen Anteil am Holocaust auch die deutsche Gesellschaft hatte, selbst lokale Behörden, Parteidienststellen, die Polizei und viele „Volksgenossen“. Deshalb wandte er sich der Verfolgung der Bochumer Juden, der Familien, Männer und Frauen, Alten und Kinder zu. Insbesondere identifizierte er sich mit diesen, was jeden beeindruckte, der Schneider hörte, der manchmal angesichts seiner Betroffenheit über die Schicksale beim Reden stockte.
Seine Forschungen zu den Bochumer Juden fanden in einer ganzen Reihe von Studien ihren Niederschlag: „Die „Entjudung“ des Wohnraums – „Judenhäuser“ in Bochum“ (2010), der „Judentransport nach Theresienstadt“ (2020), „‘Es lebe das Leben...‘ Die Freimarks aus Bochum - Eine deutsch-jüdische Familie. Briefe 1938-1946“ (2005), „Leben nach dem Überleben: Juden in Bochum nach 1945“ (2014). Schneider veröffentlichte – neben biographischen Arbeiten, etwa über Ottilie Schoenewald und Carl Rawitzki – eine Fülle von eindrucksvollen Dokumenten und Zeugnissen, zuletzt „Das Tagebuch der Susi Schmerler, eines jüdischen Mädchens aus Bochum“ (2018), das schon 1938 mit ihrer und anderen polnisch-jüdischen Familien nach Polen deportiert wurde, doch als einzige ihrer Familie nach Israel entkam. Ihrem Tagebuch traute sie die Sorge um ihre Eltern und den kleinen Bruder an (der Kontakt mit ihnen brach ab), doch auch ihr Heimweh nach Bochum schrieb sie nieder – mit anderen Jugendlichen aus dem Revier traf sie sich in Israel zu „Bochum-Abenden“…
Diese und andere Studien zur Geschichte wurden wesentlich gefördert durch den Besuch der früheren jüdischen Bürgerinnen und Bürger (mit ihren Angehörigen) aus aller Welt, zu denen er und einige andere Kontakte geknüpft hatten, im Jahre 1995. Wie sehr er sich in dieser Frage engagiert hat, habe ich damals unmittelbar erlebt und bin froh, dass er sein Vorhaben realisieren konnte. Hubert Schneider hat mit dem Verein „Erinnern für die Zukunft“ die Kommunikation mit diesem Personenkreis auch in den folgenden Jahren weitergeführt, was u.a. zur Überlassung von Briefen und anderen historischen Dokumenten, auch Erinnerungsstücken, führte, deren Auswertung helfen kann, die jahrhundertelange Geschichte der Juden in unserer Stadt und deren Anteil an der gesellschaftlichen Entwicklung zu rekonstruieren.
Dr. Hubert Schneider wurde – zusammen mit Dr. Manfred Keller, der das Stelenprojekt vorantrieb – mit der Dr.-Ruer-Medaille ausgezeichnet. Hubert Schneider, der vor seinem Tode in der Erforschung der jüdischen Geschichte und der Kommunikation darüber seine wichtigste Lebensleistung sah, hat in besonderer Weise die Erinnerungskultur unserer Stadt geprägt, die sich mit dem Verschwinden der Zeitzeugen und angesichts der Zeitläufe mit neuen Herausforderungen konfrontiert sieht. Die Initiative Nordbahnhof Bochum wird seine Anliegen in einer sich wandelnden Zeit weiterführen.
Bernd Faulenbach
„Richte nicht den Wert des Menschen schnell nach einer kurzen Stunde. Oben sind bewegte Wellen, doch die Probe liegt im Grunde.“ Den zitierten Sinnspruch von Otto von Leixner schrieb Else Hirsch am 3. März 1935 in das Poesiealbum ihrer Ex-Schülerin Hannelore Kronheim. Der Ergänzung „Gedenke manchmal Deiner Lehrerin Else Hirsch“ hätte es nicht bedurft. Hannelore (später Hannah Deutch) hat sie zeitlebens nicht vergessen. Während sie selbst das Glück hatte, dem NS zu entkommen, wurde Else Hirsch nach Riga deportiert und ermordet.
Am 3. Juli 1922 kam Hannelore als Tochter von Ella Kronheim, geborene Wittgenstein, und Alfred Kronheim in Düsseldorf zur Welt. 1924 erfolgte der Umzug nach Bochum, wo Alfred Kronheim die Geschäftsführung der Bochumer Filiale eines Kaufhauses (Ehape AG für Einheitspreise) übernahm. 1929 starb er als ein mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse ausgezeichneter Veteran des Ersten Weltkriegs. „Das war zu traurig für mich“, erzählte Hannah Deutch während eines Besuchs in Bochum 1999. Zum Glück hatte sie mit Berta Wittgenstein eine „wunderbare“ Großmutter, die sie großzog. Mit ihr und ihrer Mutter Ella lebte sie zunächst in der Bongardstraße 7 und dann – vom nationalsozialistischen Hauswirt nach dem Machtantritt der NSDAP gleich dort „rausgeschmissen“ – in der Luisenstraße 1. Ella Kronheim zog zeitweise aus Bochum fort und arbeitete in Bielefeld. Anfang 1939 ging sie mit dem Ingenieur Otto Mayer eine zweite Ehe ein. Gemeinsam mit ihm gelang ihr im August desselben Jahres die Flucht nach Chile. Berta Wittgenstein schaffte es nicht. Zusammen mit ihrer zweiten Tochter Johanna und deren Familie musste sie sich dem Transport nach Riga am 27. Januar 1942 anschließen.
Hannah Deutch verbindet glückliche Kindheitserinnerungen mit Bochum: Musikanten im Stadtpark, Schlittschuhlaufen auf dem Stadtparkteich, Rollschuhfahren auf dem Rathausvorplatz, Paternosterfahren im Rathaus. Nach Kindergarten und jüdischer Schule (wo sie überwiegend von Else Hirsch unterrichtet wurde) wechselte sie auf das Freiherr-vom-Stein-Lyzeum – bis 1937, als die Schule sich für „judenrein“ erklärte.
Die Einträge in ihrem Poesiealbum beginnen 1933, als sie elf Jahre alt war, und enden 1935, als sie dreizehn war. Die meisten stammen von jüdischen Freundinnen, jungen Mädchen auf der Schwelle zum Erwachsensein, die, aus ihrem bisherigen Leben herausgerissen wie sie selbst, in eine ungewisse Zukunft blickten. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten hatte sich „alles“ verändert. Hannelores nichtjüdische Freunde ließen sie „links liegen“, wie sie selbst es formulierte. Sie schloss sich enger an ihre jüdischen an, mit denen gemeinsam sie die Freizeitmöglichkeiten nutzte, die die jüdischen Organisationen ihnen boten.
Von den Mädchen, die ihre Spuren im Poesiealbum hinterließen, konnten einige aus Deutschland fliehen, wie Erni Berg (später Ernestine Silbermann), Inge Salomon oder Senta Mischkowski (später Cann), andere, wie Netti Weißglas oder Ellen Simons, wurden deportiert und ermordet.
Den Novemberpogrom 1938 erlebte Hannelore Kronheim hautnah mit. Ihre Wohnung in der Luisenstraße lag ja in unmittelbarer Nähe der brennenden Synagoge. Ihr Zimmer sei „hell wie Sonnenschein“ gewesen. Anfang Februar 1939 entkam sie mit einem Kindertransport nach England. Mit 16 war sie eigentlich schon zu alt dafür. Eine Verwandte, die die Möglichkeit dazu hatte, hatte sie auf eine Liste gesetzt. Unterwegs kümmerte sie sich um kleinere Kinder auf diesem Transport, das jüngste erst fünf Jahre alt.
Hannah Deutch verbindet glückliche Kindheitserinnerungen mit Bochum: Musikanten im Stadtpark, Schlittschuhlaufen auf dem Stadtparkteich, Rollschuhfahren auf dem Rathausvorplatz, Paternosterfahren im Rathaus. Nach Kindergarten und jüdischer Schule (wo sie überwiegend von Else Hirsch unterrichtet wurde) wechselte sie auf das Freiherr-vom-Stein-Lyzeum – bis 1937, als die Schule sich für „judenrein“ erklärte.
Die Einträge in ihrem Poesiealbum beginnen 1933, als sie elf Jahre alt war, und enden 1935, als sie dreizehn war. Die meisten stammen von jüdischen Freundinnen, jungen Mädchen auf der Schwelle zum Erwachsensein, die, aus ihrem bisherigen Leben herausgerissen wie sie selbst, in eine ungewisse Zukunft blickten. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten hatte sich „alles“ verändert. Hannelores nichtjüdische Freunde ließen sie „links liegen“, wie sie selbst es formulierte. Sie schloss sich enger an ihre jüdischen an, mit denen gemeinsam sie die Freizeitmöglichkeiten nutzte, die die jüdischen Organisationen ihnen boten.
Von den Mädchen, die ihre Spuren im Poesiealbum hinterließen, konnten einige aus Deutschland fliehen, wie Erni Berg (später Ernestine Silbermann), Inge Salomon oder Senta Mischkowski (später Cann), andere, wie Netti Weißglas oder Ellen Simons, wurden deportiert und ermordet.
Den Novemberpogrom 1938 erlebte Hannelore Kronheim hautnah mit. Ihre Wohnung in der Luisenstraße lag ja in unmittelbarer Nähe der brennenden Synagoge. Ihr Zimmer sei „hell wie Sonnenschein“ gewesen. Anfang Februar 1939 entkam sie mit einem Kindertransport nach England. Mit 16 war sie eigentlich schon zu alt dafür. Eine Verwandte, die die Möglichkeit dazu hatte, hatte sie auf eine Liste gesetzt. Unterwegs kümmerte sie sich um kleinere Kinder auf diesem Transport, das jüngste erst fünf Jahre alt.
In England baute sie sich ein neues Leben auf. Sie war allein und musste die Sprache erst erlernen. Das jüdische Komitee unterstützte sie und finanzierte ihr eine Ausbildung als Krankenschwester. Als solche schloss sie sich 1941-44 der britischen Armee an. England hatte sie aufgenommen und war zu ihrem Zuhause geworden. „Ich kämpfte gegen das Land, in dem ich geboren worden bin“, stellte sie rückblickend fest. Beim Militär lernte sie einen kanadischen Soldaten kennen. Die beiden heirateten und zogen nach Kanada. 1945 wurde ihr erster Sohn geboren, 1947 ihr zweiter. Ihr Ehemann starb 1949 an den Spätfolgen einer Kriegsverletzung. 1962 emigrierte Hannah Deutch nach New York. Sie trat verschiedenen jüdischen Organisationen bei, wie den JWV (Jewish War Veterans) und dem National Museum of American Jewish Military History. Bis ins hohe Alter hinein blieb sie aktiv und begriff es als ihre Aufgabe, über den Holocaust zu berichten, auch und besonders in Schulen.
1995 gehörte Hannah Deutch zu der Gruppe ehemaliger Bochumer und Wattenscheider Jüdinnen und Juden, die die offizielle Einladung der Stadt Bochum zu einem Besuch ihrer ehemaligen Heimatstadt annahmen. Dabei durfte ich sie kennenlernen und bei zwei weiteren Besuchen einige Jahre später die Bekanntschaft vertiefen. Hannah ließ ihre Bochumer Zuhörer*innen an ihren Erinnerungen teilhaben. Zu einigen entwickelte sie freundschaftliche Beziehungen. Durch ihre Erzählungen verbreiterte sie unser Wissen über die alte jüdische Gemeinde Bochums. Sie brachte Fotos mit, die wir mit ihrer Erlaubnis duplizieren konnten. Und sie hatte ihr Poesiealbum dabei, das sie hütete wie einen Schatz. Sie half bei der Identifizierung von auf Gruppenfotos abgebildeten jüdischen Kindern und Jugendlichen. So konnten wir vielen uns bisher Unbekannten ihre Namen zuordnen. Auch nach den Besuchen hielt sie den Kontakt. Dabei trieb sie der Wunsch an, was Bochum betrifft, auf dem Laufenden zu bleiben.
Am 3. Juli 2022 wird Hanna Deutch, geborene Kronheim, 100 Jahre alt. Dazu gratulieren wir als Initiative Nordbahnhof e.V. sehr herzlich!
Ingrid Wölk
Am Donnerstag, dem 23. Dezember 2021, starb Rolf Abrahamsohn im Alter von 96 Jahren. Er war einer der letzten deutschen Juden, die noch aus eigenem Erleben über die Gewalterfahrungen der NS-Zeit berichten konnten. Lange Zeit mit seinen Erinnerungen allein gelassen, teilte er diese in den letzten drei Jahrzehnten seines Lebens vor allem mit Schulklassen und Jugendgruppen, aber auch mit jungen Erwachsenen wie zum Beispiel Polizeianwärterinnen und -anwärtern. Auch in Bochum war er oft zu Gast. Dabei kam er in die Stadt zurück, die eine Station seines Verfolgungsweges gewesen war, der von seiner Geburtsstadt Marl aus über die Judenhäuser in Recklinghausen Ende Januar 1942 nach Riga (Ghetto und Konzentrationslager) und von dort über Stutthof und Buchenwald 1944 in das Außenlager Bochumer Verein des KZ Buchenwald geführt hatte. Als die Alliierten sich näherten, transportierte ihn die SS im März 1945 zusammen mit anderen überlebenden KZ-Häftlingen in vollgestopften Eisenbahnwaggons zurück nach Buchenwald. Am Ende verschlug es ihn nach Theresienstadt, wo die Rote Armee ihn im Mai 1945 befreite. Nach Marl zurückgekehrt, beteiligte er sich in den Nachkriegsjahren maßgeblich am Aufbau der Jüdischen Gemeinde Bochum-Herne-Recklinghausen; 1978 bis 1992 war er deren Vorsitzender.
Ich selbst lernte Rolf Abrahamsohn im Jahr 2000 kennen, als der Rat der Stadt Bochum ein Programm zur Unterstützung ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter verabschiedete, in dessen Umsetzung das Stadtarchiv eingebunden war. In einem Zeitungsartikel hatte er meinen Namen gelesen und meldete sich, um uns wissen zu lassen, wie bedeutsam dieser Akt der Übernahme von Verantwortung für Verbrechen aus der NS-Zeit für ihn war. Dabei konnte ich kaum glauben, den ehemaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Bochum-Herne-Recklinghausen an der Strippe zu haben, der noch dazu berichtete, er sei Gefangener und Zwangsarbeiter in einem der beiden Bochumer Außenlager des KZ Buchenwald gewesen. Natürlich lud ich ihn nach Bochum ein. Zum ersten Gespräch brachte er als „Begleitschutz“, wie er es formulierte, den 2013 verstorbenen Auschwitz-Überlebenden Alfred Salomon mit, den wir beide gut kannten. Auch Salomon war an Abrahamsohns Geschichte interessiert, besonders an dessen Zwangsaufenthalt im Ghetto Riga, in das auch Salomons Eltern, Georg und Elfriede Salomon, deportiert worden waren.
Aus dem Kennenlern-Gespräch ergaben sich zahlreiche weitere, in denen Rolf Abrahamsohn über sein Leben berichtete. Oft rief er auch an – und erzählte zunächst einen Witz. Er verfügte über einen schier unerschöpflichen Schatz an jüdischen Witzen, was nicht nur von Humor und Selbstironie zeugt. Die Witze dienten ihm zur Abfederung der harten Geschichten aus seinem Leben. Nach der lustigen Einleitung kam er in der Regel auf eine ihn quälende Erinnerung zu sprechen – mit für mich immer wieder neuen Details zu seiner Verfolgungsgeschichte – und beendete das Gespräch mit einem lockeren Spruch und der Formel „Jetzt habe ich Ihnen aber genug erzählt!“
Bald entstand auch die Idee, Rolf Abrahamsohn als Zeitzeugen nach Bochum einzuladen und mit Schülerinnen und Schülern zusammenzubringen. Als sich herausstellte, dass das Interesse der Schulen zu groß war, um alle berücksichtigen zu können, löste Herr Abrahamsohn das Dilemma auf seine Weise. Statt mehrerer Einzeltermine für einen Teil und Absagen für den anderen schlug er vor, ein bis zwei Großveranstaltungen anzubieten. So kam es dann auch. Im alten Stadtarchiv an der Kronenstraße fanden im November 2000 circa 200 Schülerinnen und Schüler diverser Bochumer Schulen Platz, im Schauspielhaus Bochum mehr als 600. Ich erinnere mich an den gewaltigen Lärmpegel und die Unruhe auf den Rängen. Konnte das gutgehen? Dann betrat Matthias Hartmann, der damalige Intendant des Schauspielhauses, die Bühne, sprach Begrüßungsworte und sorgte für Ruhe. Als Rolf Abrahamsohn mit seinem Vortrag begann, war es mucksmäuschenstill – und blieb es bis zum Schluss. Er erzählte seine Verfolgungsgeschichte. Das hatte er noch nicht oft getan und tat es unter großen Strapazen. In früheren Schul-Veranstaltungen hatte er es vorgezogen, über jüdischen Alltag zu sprechen. Er litt unter seinen Erinnerungen und verbrachte in der Regel schlaflose Nächte vor solchen Auftritten. Mein schlechtes Gewissen, wenn ich ihn dennoch wieder einlud, ließ sich dadurch beruhigen, dass ihm der Kontakt mit Kindern und Jugendlichen ungeheuer wichtig war und er es nicht anders hätte haben wollen. In den Jahren nach der „Premiere“ im Schauspielhaus folgten weitere, teils spektakuläre Zeitzeugen-Veranstaltungen mit Rolf Abrahahmsohn: in Bochumer Schulen, im Stadtarchiv, später Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte, oder wieder im Schauspielhaus.
Zu den Dingen, die bleiben, zählt der 2002 vom Stadtarchiv Bochum in Kooperation mit der Hauptschule Wattenscheid publizierte Video-Film „In Bochum war es fast am schlimmsten“. Zwei Schüler und zwei Schülerinnen gingen mit Rolf Abrahamsohn auf Spurensuche, suchten und fanden Reste des ehemaligen KZ-Außenlagers Bochumer Verein an der damaligen Brüllstraße, befragten ihn und ließen sich von ihm befragen und bannten alles auf Film. Die Fertigstellung des Videos erfolgte unter Anleitung ihrer Lehrerin und einer Mitarbeiterin des Stadtarchivs. Nicht nur für die jungen Hauptschülerinnen und -schüler, auch für Rolf Abrahamsohn, war dieses Projekt etwas Besonderes. Beide Seiten hegten Respekt und Zuneigung füreinander, bei den Jugendlichen kamen Ehrfurcht und Bewunderung hinzu. Dass sie dabei mit geschärftem Blick auf ein sie bisher kaum oder wenig interessierendes historisches Thema blickten, gehört auch zu den Erträgen des Projektes.
Fühlte Rolf Abrahamsohn sich in den ersten Nachkriegsjahren als Überlebender des NS-Terrors fremd in seiner Heimatregion, schlugen ihm oft Unverständnis und mangelnde Empathie entgegen, so änderte sich das in seinen letzten Lebensjahren. 2011 ehrte ihn der Kreis Recklinghausen mit der Ehrenbürgerschaft, 2020 wurde ihm der Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen verliehen. Seit einigen Jahren wird auf dem Jüdischen Friedhof in Recklinghausen auf Einladung der Jüdischen Kultusgemeinde des Kreises Recklinghausen am ersten Sonntag im November unter großer öffentlicher Anteilnahme an die Deportation und Ermordung jüdischer Recklinghäuser Bürgerinnen und Bürger in Riga erinnert. Rolf Abrahamsohn pflegte das alljährliche Gedenken an die Ermordeten seit 1946, zunächst mit den wenigen anderen überlebenden Mitgliedern der alten Jüdischen Gemeinde, dann allein. Die zuletzt gezeigte Aufmerksamkeit tat ihm gut.
Am 8. Mai 2019 bedankte sich auch die Stadt Bochum, indem sie – auch ihm zu Ehren – eine von dem Künstler Marcus Kiel gestaltete Installation zur Erinnerung an das Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald beim Bochumer Verein 1944-1945 auf dem Gelände des ehemaligen Außenlagers eröffnete. Trotz seines angeschlagenen Gesundheitszustandes konnte Rolf Abrahamsohn an der Einweihungszeremonie teilnehmen. Eine große Freude war es ihm, der sich auch für Fußball interessierte, dass Fans des VfL Bochum mit einem Vereinsfahrzeug seinen Hin- und Rücktransport übernahmen und sich um sein Wohlergehen kümmerten.
Rolf Abrahamsohns Lebensgeschichte kann in dem 2010 anlässlich seines 85. Geburtstags vom Stadtarchiv – Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte gemeinsam mit dem Jüdischen Museum Westfalen herausgegebenen Buch „Was machen wir, wenn der Krieg zu Ende ist? Lebensstationen 1925-2010“ nachgelesen werden. Das Buch basiert auf den Interviews, die Abrahamsohn dem Stadtarchiv über einen längeren Zeitraum hinweg gab. Das titelbildende Zitat bezieht sich auf die hoffnungsvolle Situation unter den jüdischen Häftlingen im Ghetto Riga, als sie von lettischen Arbeitern und durch „Mundpropaganda“ erfuhren, „die Russen“ seien nur noch 42 Kilometer von Riga entfernt. Leider erfüllte die Hoffnung sich nicht. Die Rote Armee wurde zurückgetrieben und Abrahamsohn erst mehr als zwei Jahre später befreit.
Ingrid Wölk, im Januar 2022
Der Nordbahnhof Bochum ist einer der Orte, von denen Deportationen ausgingen. An diesem authentischen Ort haben wir in einer szenischen Lesung deportierten Menschen aus Bochum eine Stimme gegeben. Bei den gelesenen Texten handelt es sich um zeitgenössische Quellen und spätere Erinnerungen von Überlebenden. Der Bogen der Texte spannt sich von der sogenannten „Polen-Aktion“ Ende Oktober 1938, in deren Verlauf 17.000 polnische Jüdinnen und Juden aus dem Deutschen Reich nach Polen abgeschoben wurden, bis zu den drei großen Deportationen nach Riga, Zamość und Theresienstadt 1942.
Weitere Informationen zum historischen Hintergrund und zu den Quellen
Die Initiative Nordhahnhof Bochum hat nun ihre erste Veröffentlichung vorgelegt: Die Broschüre „Gedenkort Nordbahnhof – Erinnern an Deportationen aus...