Vortrag Dienstag, 18. April 2023, 18.00 Uhr
Dr. Rudolf Tschirbs
„Die Verfolgung der Gewerkschaften und die Politik der schwerindustriellen Führungsschicht. Von der NS-Machtübernahme bis zur Ermordung Fritz Husemanns“
Als Max Horkheimer in den ersten Septembertagen 1939 in seinem Aufsatz „Die Juden und Europa“ an der Columbia-Universität im New Yorker Exil sein berühmtes Diktum formulierte: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch von Faschismus schweigen“, ging er von einer allzu engen und dauerhaften Symbiose der beiden wirtschaftlichen und politischen Großsysteme aus. Die seriöse Geschichtswissenschaft hat diesen Faden kritisch aufgenommen, jedoch auf die Frage der finanziellen Unterstützung der Nazi-Partei durch die Großindustrie verengt.
Dabei liegt der Schlüssel für die Aufklärung gerade des Verhältnisses zwischen den Repräsentanten der bergbaulichen und stahlindustriellen Eliten und den nationalsozialistischen Formationen und selbsternannten Amtsträgern eines noch schwankenden und improvisierenden Reichskanzlers Adolf Hitler tatsächlich in unserer Region, im Ruhrgebiet. Der Vortrag wird zeigen, wie die 1918/19 errichtete Konfliktpartnerschaft zwischen den vier Bergarbeitergewerkschaften und den Metallarbeiterverbänden einerseits und den Tarifkontrahenten des Zechenverbandes und des Arbeitgeberverbandes der nordwestdeutschen Metallindustrie (Arbeit Nordwest) andererseits von der Kapitalseite schon vor Einsetzen der Weltwirtschaftskrise scharf bekämpft wurde.
In den ersten Wochen des „Dritten Reiches“ wurde die Verhandlungsserie von den Arbeitgebern des Bergbaus wie Ernst Brandi, Gustav Knepper und Alfred Hugenberg und denen der Stahlindustrie wie Fritz Thyssen, Albert Vögler und Friedrich Springorum mit Gewerkschaftern wie August Schmidt und Fritz Husemann beendet. Auch die Zerstörung der Institution der Betriebsräte wurde nicht nur begrüßt, sondern auf den Werken, unter Billigung der Gewaltmaßnahmen von SA und NSBO, aktiv befördert. Der Justiziar des Zechenverbandes Werner Mansfeld, durch Hugenberg ins Reichsarbeitsministerium von Franz Seldte berufen, schuf den Unterdrückungs-Kosmos des Arbeitsordnungsgesetzes, der die Weimarer Arbeitsbürger und Arbeitsbürgerinnen einer extremen Betriebsdiktatur unterwarf.
Sein Pendent in der Eisen- und Stahlindustrie des Westens, der Geschäftsführer von Arbeit Nordwest Ludwig Grauert, vollendete als von Hermann Göring berufener Staatsekretär im Preußischen Innenministerium das Zerstörungswerk an den Säulen des Weimarer Sozialstaats. Er begründete und errichtete die Emslandlager, um die Mitglieder der Arbeiter- und Angestelltenbewegung dauerhaft mundtot zu machen. In einem der Lager, in Esterwegen, endete am 15. April 1935 das Leben des verdienten Vorsitzenden des Verbandes der Bergbauindustriearbeiter und Reichstagsabgeordneten der SPD Fritz Husemann durch den Mord eines SA-Wachmanns.
Dr. Rudolf Tschirbs war Studiendirektor am Goethe-Gymnasium Bochum. Studium der Germanistik und Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum. Promotion bei Prof. Hans Mommsen zur Tarifpolitik im Ruhrbergbau 1918-1933. Ko-Autor u. a. von „Die andere Demokratie. Betriebliche Interessenvertretung in Deutschland, 1848 bis 2008“, Essen 2012. Zahlreiche Publikationen zur deutschen Sozialgeschichte vom Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus und zum Film als Erinnerungsort.
Veranstaltungsort: Historischer Nordbahnhof, Ostring 15
Zu dem Vortrag sind Sie herzlich eingeladen. Wegen der begrenzten Raumkapazitäten bitten wir um Anmeldung unter: b.faulenbach@initiative-nordbahnhof-bochum.de